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U
E B E R K O E H L E R
Als mein Vater, Reinhold Koehler, im Sommer 1945 nach Krieg,
- Lazarett und Gefangenschaft heimkehrte, brachte er Aquarellma-
- lereien, Zeichnungen und Gedichte mit nach Hause. Kleinforma-
- tige Studien von Menschen und Landschaften, Dorfansichten,
Por-
- trätstudien von Kameraden und Gedichte, die zum
grössten Teil
- den fremden Welten und Landschaften gewidmet sind, denen
er
- begegnet war, die sich aber auch in Form von Klagen gegen
den
- Krieg wenden.
An diese lyrischen und malerischen Arbeiten knüpfte
er nun an,
- als er im Herbst 1945 sein freies Leben als Maler und
Lyriker be-
- gann. Meine Eltern hatten im Oktober geheiratet und fanden
eine
- Bleibe in Altenseelbach, wohin die Familie meiner Mutter
aus
- Siegen evakuiert worden war.
Die Altenseelbacher Jahre, von 1945 bis 1953, waren erfüllt
von
- einer Vielzahl verschiedener Themen sowie dem Erkunden
neuer
- technischer Möglichkeiten. Ganz zu Beginn entstand
eine Serie von
- Holzschnitten vorwiegend kleinen Formats. Neben Tieren
waren
- es haupsächlich Gesichter, die dargestellt wurden.
Zerfurchte, ge-
- zeichnete Gesichter, deren Züge sich in den geschnittenen
Linien
- wiederfinden. Wahrscheinlich entspringen sie Erinnerungen,
die
- mein Vater aus Russland mitgebracht hatte. Aber der Holzschnitt
- ist hier nicht, wie im Expressionismus zur Vereinfachung
und
- Dramatik eingesetzt, vielmehr ruhen die Gesichter in
einem eher
- ornamantalen Lineamant in sich.
Die Begegnung meines Vaters mit Russland fand zwar unter
den
- Bedingungen des Krieges statt. Doch fanden das Erlebnis
der rus-
- sischen Landschaft und der dörflichen Kultur und
die Begegnung
- mit den Menschen bis in die 50er Jahre hinein Niederschlag
in sei-
- nem Werk. In Dorfansichten, Strassenszenen, Tanzszenen,
in zeich-
- nerischen und malerischen Darstellungen russischer Menschen.
Fi-
- ligranhafte Federzeichnung bestimmt die Blätter
'Zwei alte Russen',
- (1949) und 'Die drei Greise' (1950) nach LeoTolstoi Volkserzäh-
- lungen. 'Die drei Greise' entpuppen sich in Tolstois
Volkserzäh-
- lung als drei Heilige, die übers Wasser zu gehen
vermögen.
Von der gleichen Arbeitsweise der teilweise mit Aquarell
verbun-
- denen Tuschzeichnung sind auch weitere Blätter religiöser
Thema-
- tik, darunter die 'Beweinung Christi' (1949), 'Madonna'
(o.J.) und
- 'Der Heilige auf der Säule'(o.J.). Die erzählerische
Feder, durch-
- leuchtet vom Aquarell, ist Koehlers ganz eigene Form
für illustra-
- tive und religiöse Darstellungen. Die Madonna dagegen
erinnert
- uns an Ikonen. Die russischen Ikonen hatten meinen Vater
sehr
- beeindruckt. So begann er in der Kriegszeit , Ikonen
zu sammeln.
- Er tauschte sie ein gegen Porträts, die er von ihren
Besitzern zeich-
- nete. Und er lehnte sich mit seinen eigenen Madonnen
deutlich an
- die Madonnen der Ikonen an. So auch 'Madonna mit Stockrose'
- von 1948.
Altenseelbach war für die Koehlers nicht nur ein Wohnort,
son-
- dern die Altenseelbacher Haubergsgesellschaft überliess
der Familie
- auch eine Parzelle Hauberg zur Bebauung mit Getreide
und Kartof-
- feln. In der schwierigen Zeit von Lebensmittelkarten
schätzten sich
- meine Eltern glücklich, vom eigenen Feld ernten
zu können. Dass
- sie selbst bäuerliche Arbeit verrichteten - was
sie erst lernen muss-
- ten - , brachte sie auf nie gekannte Weise der Natur
nahe und ver-
- band sie auch mit den anderen Dorfbewohnern, von denen
sie in
- ihrer neuen Tätigkeit mit Rat und Tat unterstützt
wurden.
In der künstlerischen Arbeit fand dieses naturnahe Leben
Ausdruck
- in der Lyrik, die an Naturmetaphern geradezu überbordet.
Ob es
- sich um Gedankenlyrik handelt, um religiöse Gedichte
oder eroti-
- sche Gedichte, immer sind es Bilder aus der Natur, in
denen gespro-
- chen wird. Aber oft sind diese Gedichte umschattet von
Trauer und
- Schwere der überstandenen Jahre.
Freude am gegenwärtigen Schauen und an der Farbe verraten
die
- Blumenstücke, die in Oel oder Gouache entstanden.
Der Landschaft
- um Altenseelbach näherte sich mein Vater in Aquarellen
und Tusch-
- malereien. Besonders die Wälder in der Umgebung
und einzelne
- Bäume fing er ein, aber auch die Hügelform
der 'Siegerländer
- Landschaft' (o.J.).
In Dorfansichten wurden Altenseelbach und Neunkirchen porträtiert.
- In einigen dieser Landschaften und Dorfansichten nahm
mein Vater
- ein Verfahren wieder auf, das er zuerst während
des Krieges im Ort
- Rschew praktizieret hatte. Damals hatte er das Weiss
des Schnees auf
- den Bäumen nicht durch Aussparung gewonnen sondern
durch Ab-
- reissen der obersten Papierschicht freigelegt. Diesen
Eingriff in die
- Oberfläche des Papiers nahm er nun - wieder um den
Schnee auf
- Bäumen bzw. auf dem Dach darzustellen - erneut vor.
In 'Winter-
- wald' (1946) und 'Verschneites Dorf' (1947).
Eine andere Art, das Papier als Material zu bearbeiten, waren
etwas
- später, 1952, die 'Knitterbilder'. Einmal ist es
das Aquarell eines
- einzelnen Baumes, ein Blick in sein Geäst, das ganzflächig
zusammen-
- geknüllt und danach wieder ausgebreitet wird. Nun
ist das Blatt über-
- zogen mit einem endlosen Geäst von Falten, die mit
den gemalten
- Ästen und Zweigen in Beziehung treten.
Zum selben Bemühen, andere, neue Zeichen sprechen zu
lassen, die
- nur weniger gewollt hervorgerufen werden können
als die gezeich-
- neten oder gemalten Linien und Flächen, gehört
das Aufspritzen von
- Flecken hinein in ein schon gestaltetes Aquarell. Wieder
verbinden
- sich gestaltete und mehr oder weniger zufällige
Strukturen.
Beim Betrachten der liebevoll gezeichneten und gemalten Tierbilder
- fällt mir ein, dass mein Vater uns erzählte,
er habe mit Kreide grosse
- Pferde mit Kutschwagen auf die Strasse gezeichnet und
sein erster
- Berufswunsch als Kind sei es gewesen, Kutscher zu werden.
Vielleicht
- haben auch die Tiere im Dorf zu der Vielzahl von Tierdarstellungen
- beigetragen, die in dieser Zeit entstanden sind. Zu den
ersten Blättern
- gehören die kleinen Farbstiftzeichnungen von kleinen
Tieren so wie
- 'Maikäfer' und 'Schnecke' (beide 1946), die an ähnliche
Zeichnungen
- aus der Kriegsgefangenschaft erinnern.
Früh entstehen auch die zwei einzigen Radierungen aus
dieser Zeit
- 'Pferd' und 'Stier'. Die Platten wurden 1946 radiert,
aber es bestand
- keine Möglichkeit, sie abzuziehen. Erst 1966, als
mein Vater mit
- einem Stipendium der Aldegrever Gesellschaft in einer
Kupfertief-
- druckerei arbeiten konnte, druckte er auch die beiden
alten Platten
- und stellte eine kleine Auflage des 'Stiers' fertig.
Das neben dem Pferd am meisten dargestellte Tier war der
Hahn.
- Seine stolze Schönheit hatte es meinem Vater angetan.
So benutzte er
- auch den Hahn, um Stilisierungen, ein Aufbrechen der
Figur in geo-
- metrische Formen, zu erproben, was besonders die Auftragsarbeiten
- charaktrisierte.
Mein Vater bemalte zu Hause auch Möbel, schenkte uns
von ihm be-
- malte Schachteln u.ä.. Oft waren diese Gegenstände
mit stilisierten
- Hähnen bemalt. Als er Teppiche nach seinem Entwurf
weben liess,
- waren Hähne und ein Pfau das Motiv. In den Aquarellen
der Hähne
- leuchtet auch die für Koehler typisch werdende Farbigkeit
aus Zwi-
- schentönen auf.
So sehr mein Vater auch Freude hatte an den Tierdarstellungen,
sollte
- es doch nicht überbewertet werden, dass die wichtigsten
Werke über-
- haupt der Zeit 1945 - 1953 sich an Möwen entzündeten.
Meine Eltern
- waren von Freunden auf Sylt dahin eingeladen worden und
mein Vater
- suchte sich dort die Möwen als einziges Motiv. »In
der Reihe der Kar-
- tonarbeiten mit Darstellung fliegender, einzelner weitgehend
die Bild-
- fläche füllender oder als Gruppe komponierter
Möwen, praktizierte
- der Künstler durchgängig sein auch schon viel
früher erprobtes Ver-
- fahren der Abreisstechnik. Vor dunklem schwarzgrauen
Himmel er-
- scheinen die Vögel, nicht wie zu erwarten, in gleichmässigem
Farb-
- verlauf ihres hellgrauen und weissen Gefieders [...],
sondern fleckig,
- blauhellgrau und gelblich weiss, fast wie in malerischer
Auflösung
- und Durchdringung mit den dunklen Partien des Himmels.
Erst bei
- genauerem Hinsehen erkennt man das ungewöhnliche
Verfahren des
- Malers. Der eingefärbte und dadurch aufgeweichte
Karton wurde nicht
- durch den Auftrag von Linien oder Farbflächen zum
üblichen Bild-
- träger, sondern wie ein (fast möchte man sagen:
bildhauerisches) Ma-
- terial behandelt, aus dem es gilt, ein darin verborgenes
Bild freizu-
- legen. Im Abriss der Papierschichten - es können
5 - 6 sein - , die teil-
- weise besonders eingefärbt wurden, kamen Zeichnung
und farbige
- Nuancierung zustande. Aber nicht die 'malerische' Wirkung
ist aus-
- schlaggebend; andere Momente fallen stärker ins
Gewicht. Durch die
- fast rohe, fragmentarische Art der Darstellung ist der
Entstehungs-
- prozess, der nicht abgeschlossen, sondern lediglich angehalten
scheint,
- nachdrücklich hervorgehoben. [...] Künstler
wie Betrachter sind zu
- einem äusserst aktiven Sehen, zum Hineinsehen ins
Material und zum
- Herauslesen der Gestalt, herausgefordert.« ( aus:
Hans M. Schmidt:
- Das Prinzip Décollage - Zu Werk und Leben Reinhold
Koehlers; in:
- Katalog zur Ausstellung im Sprengel Museum Hannover,
1985)
Die aus dem dunkel verhangenen Himmel herausgerissenen 'Möwen'
- sind die ersten Arbeiten, in denen nichts mehr gezeichnet
oder gemalt
- wird, sondern in denen das Herausreissen aus einem eingefärbten
und
- vorgängig mit weiteren Papierschichten beklebten
Karton das einzige
- Gestaltungsmittel ist. Die 'Möwen' sind die ersten
vollständig von die-
- ser Technik hervorgebrachten 'Décollagen' (von
fr. 'décoller'= entkle-
- ben, Abheben des Geklebten), wie mein Vater sie ab 1958
bezeichnete.
Die Wiederaufnahme der reinen Décollagen nach den
'Möwen' ging
- über die ungegenständlichen Kompositionen und
Bilder aus Sand und
- Farbe ab 1953/54. Denn die erneuten Décollagen
ab 1956/57 waren
- ungegenständlich. Zunächst in grossen Serien
von Papierabreissbil-
- dern entwickelt, erstreckte sich die Décollage
später auch auf andere
- Materialien und wurde zum Prinzip Décollage, das
- neben den Sand-
- bildern - das Werk Koehlers ausmachte.
Eines der wichtigsten Sujets der Altenseelbacher Jahre sowie
auch
- der ersten Siegener Zeit ist der weibliche Akt. Es gibt
ihn in verschie-
- denen Techniken auf Papier. Als ganz lineare Zeichnung
in Rötel oder
- blauem Farbstift, als Tuschmalerei, als Aquarell oder
als Mischung
- von beiden, oft von décollagierenden Eingriffen
bereichert.
Dabei kann der Akt erzählerische Form haben, so wie
die Figur einer
- Frau, die sich gerade auszieht oder auch 'Akt auf Stuhl'
(o.J.) oder aber
- er kann über Individualität und Augenblick
hinausgehobene Leiblich-
- keit zeigen. In vielen Akten hat Koehler das Abreiben,
Abribbeln, Weg-
- reissen und Einritzen weitergeführt, in einem Blatt
bis zum fast voll-
- ständigen Décollagieren. Nur noch die Züge
des Gesichts und die ein-
- zelnen Finger sind von der Feder angedeutet. Das Abreiben
der Ober-
- fläche und Rausreissen von Papierfetzen hinterlässt
eine raue Papier-
- fläche,die an die Mattigkeit der Haut erinnert.
Achtsam verteilte Flek-
- ken in feinen Tonabstufungen, die durch Wegreissen oder
zurückhal-
- tende Koloration entstehen, modellieren den Körper.
Max Bense hatte darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, dass
Koehlers
- Décollagen nicht nur sichtbar sind, sondern dass
man auch sieht, dass
- man ihre Struktur mit dem Finger ertasten kann. Damit
rühren die
- Décollagen oder auch, wie hier, ihre Vorläufer,
an unsere Fühlerfah-
- rung und bringen andere Assoziationen zum Klingen, als
wenn sie sich
- nur an unsere Augen richteten. Bei den décollagierten
Akten ist der
- Appell an unser Fühlen ein doppelter, da es sich
um unsere eigene
- menschliche Körperlichkeit handelt, die sicht- und
fühlbar dargestellt
- wird. Das Sprechen vom Körper ist durch die décollagierenden
Tech-
- niken intensiviert.
Neben den Akten auf Papier entstand 1948 bis 1950 eine Serie
von
- untereinander sehr ähnlichen Akten in Oel. In allen
nimmt die Figur,
- die oberhalb der Kniee abgeschnitten ist, fast das ganze
Bild ein. Die
- geschlossene Form der um den Kopf gelegten Arme und der
volumi-
- nöse Torso bilden einen mächtigen Körper,
der sich ins Bild drängt.
- Das Fehlen eines Gesichts und die zu Kreisen gewordenen
Körperrun-
- dungen lassen den Körper in einer zeichenhaften
Reduktion erscheinen.
- Gemalt ist dies in Pastelltönen und zwar in dickem
Farbauftrag mit
- deutlich sichtbarem Pinselstrich.
Umgekehrt wie die Décollage die Oberfläche des
Papiers in tiefere
- Schichten erweitert, erweitert hier der pastose und strukturierte
Farb-
- auftrag den Bildgrund ins Reliefhafte. Diese materiale
Präsenz verbin-
- det sich mit dem Bildaufbau zu einem monumentalen Zeichen
weib-
- licher, menschlicher Körperlichkeit. In den späten
60er Jahren suchte
- mein Vater diese Serie von Akten wieder hervor, klebte
die auf Hart-
- faserplatte gemalten Bilder auf Leinwand auf und hängte
sie in Dialog
- mit den neu entstandenen Werken in der Wohnung auf. So
wurde im
- Nachhinein sichtbar, wie die frühen Akte auf die
'Torso-', 'Thorax-'
- und 'Corpus-Bilder' der 50er und 60er Jahre vorausweisen.
Zeichenhafte und reliefartige Darstellung von Körperlichkeit
war zu
- einem essentiellen Teil von Koehlers Werk geworden.
Angela Köhler, im Juli 1999
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